TEXT 3:
vaidhī bhaktir bhavet śāstraṁ bhaktau cet syāt
pravartakam
rāgānugā syac ced bhaktau lobha eva pravartakaḥ
“Wenn Bhakti durch die Anweisungen der Schriften ausgelöst
wird, nennt man sie vaidhi bhakti, wenn sie durch spirituelle Begierde (lobha) ausgelöst
wird, dann nennt man sie rāgānugā bhakti.”
Kṛpā-kaṇikā Vyākhyā:
Wir haben erklärt, dass es zwei Arten der sādhana bhakti
gibt - 'vaidhi' und 'rāgānugā'. Hier gibt der Autor die Eigenschaften dieser
zwei Arten der Bhakti bekannt. Wenn Bhakti durch Anweisungen aus den Schriften
entsteht, dann handelt es sich um vaidhi bhakti. Das heißt, dass die offenbarten
Schriften beschreiben, wie diejenigen, die sich gegen eine Verehrung Śrī Haris
wenden, leiden werden, indem sie weiterhin durch viele bemitleidenswerte Arten
des Lebens wandern als auch durch die Hölle reisen müssen.
Der vaidhi bhakti bhajana beginnt mit der Angst vor
diesen Leiden. Im Śrī Bhakti Rasāmṛta Sindhu wird eine Definition von vaidhi
bhakti gegeben -
yatra rāgānavāptatvāt pravṛttir upajāyate
śāsanenaiva śāstrasya sā vaidhī bhaktir ucyate (1.2.6)
“Die Bhakti, die weder Anhaftung noch Begierde kennt und
durch die Anweisungen der Schriften ausgelöst wird, heißt vaidhi bhakti.”
In seinem Kommentar zu diesem Vers hat Viśvanātha
Cakravartīpāda geschrieben
- rāgo'tra śrī mūrter darśanād daśama skandhīya tat tal
līlā śravaṇāc ca bhajana lobhaḥ.
“Das Wort rāga kann benutzt werden, wenn die Verehrung
durch heilige Begierde ausgelöst wird, nachdem man die schöne Bildgestaltenform
des Herrn gesehen hat oder nachdem man von Seinen Spielen aus dem zehnten Canto
des Śrīmad Bhāgavata gehört hat.”
Wenn Verehrung nicht durch solche Begierde ausgelöst
wird, sondern durch die Anweisungen der Schriften, nennt man sie vaidhi bhakti.
I
m Śrīmad Bhāgavata (11.5.2-3) gibt es eine klare,
schriftliche Warnung an alle, die gegen die Verehrung Gottes sind in den Worten
des Herrn:
mukha bāhūru pādebhyaḥ puruṣasyāśramaiḥ saha
catvāro jajñire varṇā guṇair viprādayaḥ pṛthak
ya eṣāṁ puruṣaṁ sākṣād ātma-prabhāvam īśvaram
na bhajantyavajānanti sthānād bhraṣṭāḥ patantyadhaḥ
“Aus dem Gesicht, den Armen, den Schenkeln und den Füllen
des Puruṣa (die universale Form) wurden die vier sozialen Stände, wie brāhmaṇas,
die guṇas, wie sattva und die vier Stufen des Lebens, wie Haushälterleben, nach
und nach manifestiert. Jene innerhalb des varṇāśrama Systems, die ihren eigenen
Ursprung, Śrī Hari, nicht verehren und Ihn daher missachten, werden von ihrer
sozialen Position fallen.”
cāri varṇāśramī yadi kṛṣṇa nāhi bhaje;
sva-dharma koriyā-o raurave paḍi maje
(C.C.)
sva-dharma koriyā-o raurave paḍi maje
(C.C.)
“Jene in den vier sozialen Ständen, die Kṛṣṇa nicht
verehren, werden in die Hölle fallen, selbst wenn sie ihre beruflichen
Pflichten erfüllen.”
Die Art der Verehrung oder bhajana mārga, der durch
schriftliche Unterweisungen ausgelöst wird, heißt vaidhi mārga.
Und die Art der Verehrung, die ausgelöst wird durch
Begierde, verursacht durch Hören von den Spielen Śrī Kṛṣṇas, heißt rāgānugā
mārga. Śrīmat Rūpa Gosvāmīpāda hat folgende Definition von rāgānugā gegeben:
virājantīm abhivyaktaṁ vrajavāsi-janādiṣu
rāgātmikām anusṛtā yā sā rāgānugocyate
(Bhakti Rasāmṛta Sindhu 1.2.270)
“Die Bhakti, die deutlich in den ewigen Gefährten von
Vraja gegenwärtig ist, heißt rāgātmikā
bhakti, und Bhakti, die dieser rāgātmikā bhakti folgt, heißt rāgānugā bhakti.”
rāgātmikā bhakti mukhyā vrajavāsi-jane
tāra anugatā bhakti rāgānugā nāme
(C.C.)
(C.C.)
“Die Einwohner von Vraja praktizieren rāgātmikā bhakti,
und Bhakti, die dieser folgt, ist rāgānugā.”
In seinem Bhakti Sandarbha (310) schreibt Śrīmat Jīva
Gosvāmīpāda:
atra viṣayiṇaḥ svābhāviko viṣaya
saṁsargecchātiśayamayaḥ premā rāgaḥ yathā cakṣur ādīnāṁ saundaryādau; tādṛśa
evātra bhaktasya śrī bhagavatyapi rāga ityucyate.
…
yasya pūrvokte rāga viśeṣe rucir
eva jātāsti na tu rāga viśeṣa eva svayaṁ tasya tādṛśa rāga sudhākara karābhāsa
samullasita hṛdaya sphaṭika maṇeḥ śāstrādi śrutāsu tādṛśyā rāgātmikāyā bhakteḥ
paripāṭiṣvapi rucir jāyate. tatas tadīyaṁ rāgaṁ rucyānugacchantī sā rāgānugā
tasyaiva pravartate.
“Die natürliche Liebe und der
Wunsch eines Sinnengenießers nach seinem Lieblingsobjekt nennt sich rāga. So
wie die Augen zu wunderschönen Szenen und andere Sinne zu ihren
Lieblingsobjekten hingezogen sind und dazu keine Ermutigung benötigen, in ähnlicher
Weise fühlt sich das Herz eines Geweihten natürlicherweise zum Herrn
hingezogen. Dieser unruhige Durst nach Liebe wird rāga genannt.
…
Wenn nur der Anschein von
Mondstrahlen dieses rāga (der sich in den Herzen der ewigen Gefährten von Kṛṣṇa
befindet) auf das kristallgleiche Herz eines Geweihten, der nur ein wenig
Geschmack am oben beschriebenen rāga hat, aber noch nicht den wirklichen rāga
entwickelt hat, fällt, dann erfreut sich das ganze Herz. Wenn er dann von den
Schriften lernt, entwickelt er Geschmack fūr den ausgezeichneten
hingebungsvollen Dienst dieser rāgātmikā Geweihten.”
Die Zusammenfassung dessen ist,
dass in den Geweihten, deren Herzen von Lust, Zorn, Gier und Neid frei sind und
die aus den Schriften und aus dem Mund von Heiligen über den fachkundigen
hingebungsvollen Dienst der rāgātmikā bhaktas hören, Geschmack erwachen wird.
Mit solchem ruci (Geschmack) werden sie ihnen folgen und so wird ihre rāgānugā
bhakti beginnen. So sollte es verstanden werden. (3)